Die vorliegende Neuedition des Nuwen Boychs stellt die dritte Ausgabe dieses Textes dar. Bereits im 19. Jahrhundert hatten es Leonard Ennen und Hermann Cardauns unternommen, dieses Stück Kölner Stadthistorie einer geschichtsinteressierten Öffentlichkeit zuzuführen: So veröffentlichte Ennen den Text 1869 im ersten Band seiner Quellen zur Geschichte zur Stadt Köln. Wenige Jahre später, 1875, führte ihn Hermann Cardauns dem 12. Band der Reihe Chroniken der deutschen Städte zu. Aufgrund dieser auf den ersten Blick guten Überlieferungslage stellt sich berechtigterweise die Frage nach der Notwendigkeit einer Neuedition. Diese ist jedoch ohne größere Schwierigkeiten zu beantworten: Beide Textausgaben bieten aus moderner editionsphilologischer Sicht einige Probleme: Weder Ennen noch Cardauns konnten – wohl den Zwängen des 19. Jahrhunderts gehorchend – eine wirklich handschriftengetreue, diplomatische Edition aufbereiten. Keine der beiden Editionen stellt den Text vollständig dar, der aus einem vorangestellten „Konzept“, dem eigentlichen Haupttext sowie einigen in den Text inkorporierten offiziellen Dokumenten besteht. Darüber hinaus weist der Text auch Marginaleinträge auf, die nur unzureichend berücksichtigt werden konnten. Der Wunsch nach leserfreundlicher Aufbereitung mündete überdies in philologische Eingriffe in den Text selbst, der zumindest bei Cardauns in einer weitgehend normalisierten Form erscheint. Damit können die beiden Texteditionen heutigen Ansprüchen der Philologie und der Geschichtswissenschaft nicht mehr hinreichend genügen. Mithin könnte das einer der Gründe sein, warum das Nuwe Boych bislang kaum aus sprachhistorischer Perspektive berücksichtigt wurde, obwohl bereits 1888 Hermann Keussen auf die Notwendigkeit einer eingehenden Analyse der darin verwendeten Kölner Stadtsprache hingewiesen hatte.
Die vorliegende Neuedition des Nuwen Boychs versteht sich als Reaktion auf die Mängel der älteren Textausgaben, indem sie erstmals den vollständigen Text des Nuwen Boychs sowie alle Paratexte in handschriftengetreuer, diplomatischer Wiedergabe darbietet. Damit soll sie sowohl Historikern als auch Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaftlern einen Zugang zu dem Wissensraum eröffnen, den die Darstellung der politischen Ereignisse von 1360 bis 1396 aufspannt. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als das Originaldokument infolge des Einsturzes des Archivgebäudes im März 2009 in mittelfristiger Zukunft nicht mehr einsehbar sein wird. Zwar konnte es – wie viele andere Archivalien – geborgen werden, doch wird seine Restaurierung einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Neuausgabe des Nuwen Boyches möchte allen Interessierten die Gelegenheit bieten, trotz der gegenwärtigen Unzugänglichkeit zum Original mit einer an den Gegebenheiten der Handschrift orientierten Darbietung des Textes zu arbeiten.
Grundlage für die Neuedition des Nuwen Boychs waren zum einen das Digitalisat der Handschrift (HAStK, Chroniken und Darstellungen 12, Best. 7030), das das Hill Museum and Manuscript Library, Collegeville zur Verfügung gestellt hatte, und zum anderen der im Historischen Archiv der Stadt Köln (HAStK) eingelagerte Mikrofilm der Handschrift. Die Handschrift selbst konnte leider nicht mehr eingesehen werden, da sie sich derzeit in der Restaurierung befindet. Die Arbeit mit Digitalisat und Mikrofilm konnte trotz aller Vorteile, die diese Formen der Langzeitarchivierung bieten, nicht immer alle Fragen, die an den Text herangetragen wurden, in gleichem Maße beantworten wie die Autopsie der Handschrift. In vereinzelten Fällen mussten daher die älteren Editionen zu Rate gezogen werden, etwa um schwer lesbare Stellen und uneindeutige Passagen zu entziffern oder durch die Bindung auf dem Digitalisat und Mikrofilm nicht mehr erkennbare Zeilenenden zu rekonstruieren. Diese Zuhilfenahme der älteren Textausgaben ist stets kenntlich gemacht.
Der Text des Nuwen Boychs stellt einige Herausforderungen an den Editor, da neben dem eigentlichen Haupttext zahlreiche Paratexte in Form von Marginaleintragungen, Glossierungen, Konzeptschrift, Inhaltszusammenfassung und beigefügten Urkundenabschriften vorhanden sind. Diese Paratexte wurden zudem von unterschiedlichen Schreibern zu unterschiedlichen Zeiten dem Haupttext beigegeben, sodass der Gesamttext des Nuwen Boychs ein gewachsenes Ensemble verschiedener Bearbeitungsstufen aus mehreren Epochen darstellt. Dieser Eigenart des Textes muss eine moderne Edition natürlich in gebührender Weise Rechnung tragen, da es sich hier um kulturhistorisch bedeutende Texteingriffe handelt, die Auskunft über den Gebrauch und die Rezeption des Textes geben können. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Originalhandschrift derzeit nicht zugänglich ist, muss eine moderne Neuedition diese Besonderheiten des Textes durch eine konsequent diplomatische Vorgehensweise abbilden können.
Aus diesem Grund ist die Darbietung des Textes eng an das Erscheinungsbild der Handschrift geknüpft und bietet eine seiten- und zeilengetreue Transkription des Textes. Die verschiedenen Bearbeitungsstufen des Textes sind nach Bearbeitern (bzw. Schreiberhänden) unterschieden. Insgesamt lassen sich fünf unterschiedliche Schreiberhände ausmachen: Neben dem Schreiber des Haupttextes, Gerlach vom Hauwe (= Hand 1), ein weiterer Schreiber aus dem beginnenden 15. Jahrhundert (= Hand 2, grüne Auszeichnung) sowie die Hand des Protonotars Emund Frunt, der 1484 im Auftrag des städtischen Rates den Text bearbeitet hatte (= Hand 3, rot). Aus späterer Zeit stammen schließlich noch die Eintragungen von Hand 4 (blau), die dem 17. Jahrhundert zuzuordnen ist, sowie die Bearbeitung von Hand 5 (gelb) aus dem 19. Jahrhundert, die wahrscheinlich einem der damaligen Mitarbeiter des Historischen Archivs der Stadt Köln zugeordnet werden kann.
Die Eintragungen dieser Bearbeiter wurden nach dem Vorbild der Handschrift transkribiert und möglichst originalgetreu abgebildet. Das bedeutet, dass sowohl Marginaleinträge als auch über der Zeile befindliche Korrekturen im Transkript an der Stelle abgebildet wurden, an der
sie sich auch in der Handschrift befinden. So kann die Beziehung dieser Paratexte zum Haupttext verdeutlicht werden.
Neben diesen Bearbeitungen zeichnet sich der Text durch zahlreiche Streichungen und Schwärzungen aus, die nach Fertigstellung des Haupttextes vorgenommen wurden, um lebende Personen nicht zu diskreditieren. Diese Texteingriffe wurden ebenfalls originalgetreu abgebildet, zusätzlich aber der darunterliegende Text, soweit möglich, rekonstruiert. Hierbei musste verstärkt auf die Erkenntnisse der älteren Editionen zurückgegriffen werden, da in vielen Fällen weder der Mikrofilm noch das Digitalisat deutlich erkennbare Lesarten anbieten konnten.
Auch die Darstellung von Spatien ist am Vorbild der Handschrift orientiert: Der Verfasser des Textes, Gerlach vom Hauwe, hatte diese bewusst offen gelassen, um Informationen, die ihm zum Zeitpunkt seiner Arbeit am Text noch nicht zur Verfügung standen, später nachtragen zu können. Dies wurde jedoch aus unbekannten Gründen unterlassen.
Bei der Wiedergabe des Textes wurde entsprechend der Prinzipien einer diplomatischen Textedition auf die Normalisierung der Schreibung verzichtet. Dies betrifft insbesondere die Grapheme <u>, <v> und <>, die sowohl den Konsonanten f als auch den Vokal u repräsentieren können wie auch die Grapheme <i>, <y> und <j>, die einerseits den Vokal i repräsentieren, andererseits aber auch als nicht gesprochenes Längenzeichen die Länge des vorausgehenden Vokals markieren können.
Diakritische Zeichen wurden nach dem Vorbild der Handschrift umgesetzt. Die Groß- und Kleinschreibung wie auch die Getrennt- und Zusammenschreibung entspricht der in der Handschrift angewandten Praxis. Ebenso wurde die Interpunktion der Handschrift, die in der Regel aus in der Mitte der Zeile positionierten Punkten (cola) • und Schrägstrichen (Virgula) / besteht, beibehalten.
Trotz des Anspruchs, eine weitestgehend diplomatische Wiedergabe des Textes zu bieten, sind vereinzelte Eingriffe in denselben unumgänglich, soll dieser lesbar bleiben. An vorderster Stelle dieser Texteingriffe steht die Auflösung von Abbreviaturen, die der handschriftliche Text gemäß der Schreibkonventionen des 14. Jahrhunderts aufweist. Diese Auflösungen wurden durch Kursivschreibung kenntlich gemacht. In der Regel gestaltete sich die Auflösung der Abbreviaturen unproblematisch, da es sich hauptsächlich um den Nasalstrich, der für m oder n steht, das Häkchen, das für er bzw. re steht oder um abgekürzte formelhafte Ausdrücke wie vurß = vurscreuen oder vurg = vurgenant handelt. Nur in vereinzelten Fällen war die korrekte Umsetzung der Suspension nicht vollkommen eindeutig. Diese Zweifelsfälle sind im Endnotenapparat vermerkt. Auf die Darstellung des Schaft-s ſ, das im Wortanlaut und im Wortinnern Verwendung findet, wurde zugunsten einer einheitlichen Darstellung von <s> verzichtet, da dadurch keine lautliche Differenzierung ausgedrückt wird. Diese Maßnahme ist ein Zugeständnis an die Leserfreundlichkeit des dargebotenen Textes. Schließlich sind einige Leseschwierigkeiten der Transkriptionsvorlage, dem Digitalisat und dem Mikrofilm, geschuldet. Dies betrifft u. a. Wörter oder Wortendungen, die am Zeilenende in der Bindung des Codex verschwinden. In diesen Fällen wurden die betreffenden Wörter unter Zuhilfenahme der älteren Editionen rekonstruiert. Diese Rekonstruktionen sind in der Edition kenntlich gemacht.
Der dargebotene Text wird ergänzt durch einen Anmerkungsapparat, der u. a. auf Problemfälle bei der editorischen Umsetzung des Textes hinweist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Text mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln nicht adäquat wiedergegeben werden kann, so etwa wenn Wörter durch Überschreibung korrigiert wurden und sowohl die korrigierte als auch auf die vorausgehende Fassung kenntlich gemacht werden soll. Mithilfe des Apparates wird überdies auf Textverderbnisse, unklare Stellen, nicht entzifferbaren Text oder auf abweichende Lesarten aus den älteren Editionen verwiesen.
Im Register sind alle im Nuwen Boych erwähnten historischen Personen aufgeführt. Diese sollen – soweit vorhanden – mit den entsprechenden Online-Einträgen in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) und der Neuen Deutschen Biographie (NDB) verknüpft werden.
Die digitale Darbietung des Editionstextes eröffnet die Möglichkeit, den Text auf mehreren Ebenen auszuzeichnen. Dies umfasst nicht nur eine sprachwissenschaftliche Annotation, sondern kann auch andere kulturhistorische Disziplinen einbeziehen. Eine erste Auszeichnung erfolgte auf der Ebene der formelhaften Wendungen, die der Text in großer Zahl aufweist. Diese Wendungen sind durch eine Hyperverlinkung mit der Online-Plattform des Projektes „Historische Formelhafte Sprache und Traditionen des Formulierens (HiFoS)“ verknüpft, in der sie nach mehreren Ebenen des Sprachsystems analysiert wurden. Die Freischaltung des Zugangs zur HiFoS-Datenbank erfolgt in Kürze. Um den Text auch aus historischer Perspektive durch weiterführende Informationen zu ergänzen, sollen Verknüpfungen der darin genannten historischen Persönlichkeiten mit den entsprechenden Einträgen in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) und der Neuen Deutschen Biographie (NDB) erstellt werden. Weitere komplementäre Informationen zum geschichtlichen Hintergrund der im Text dargestellten Ereignisse können und sollen ebenfalls im Laufe der Zeit hinzugefügt werden. Zusätzlich wurde ein Link zu einem Digitalisat des Mikrofilms, den das HAStK freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, gesetzt, um den edierten Text direkt mit den Images des Originaldokuments vergleichen zu können.